Hilfsfristentwicklung
Das Innenministerium Baden-Württemberg hat in dieser Woche die Hilfsfristen für den Rettungsdienst in Baden-Württemberg veröffentlicht. Für den Rettungsdienstbereich Mittelbaden hat sich sowohl die notärztliche als auch die rettungsdienstliche Hilfsfrist von 2013 auf 2014 verschlechtert. Warum ist das so?
In den letzten Jahren müssen die Rettungsdienstbereiche deutliche Leistungssteigerungen verkraften. So hat der Bereichsausschuss für den Rettungsdienstbereich Mittelbaden zahlreiche Verbesserungen in der notärztlichen Versorgung vorgenommen. Diese Verbesserungen im System wurden allerdings durch eine kontinuierliche Steigerung der Einsätze aufgezehrt. Es kommt zum Beispiel immer häufiger zu der Situation, dass zur gleichen Zeit in einem Notarztstandortbereich zwei Notfälle auftreten (Duplizitäten). Dies führt dazu, dass ein benachbartes Fahrzeug den Notarzt an die Einsatzstelle bringen muss, was in der Regel zulasten der Hilfsfrist geht.
Im Bereich der rettungsdienstlichen Versorgung haben wir jüngst im Bereichsausschuss beschlossen, dass von 10 bis 22 Uhr ein zusätzlicher Rettungswagen an der Rettungswache Rastatt vorgehalten wird (voraussichtliche Umsetzung erfolgt zu Beginn der zweiten Jahreshälfte 2015). Wir gehen fest davon aus, dass damit die Hilfsfrist für den Rettungsdienst wieder eingehalten wird. Auch hier machen wir strukturelle Veränderungen in den letzten Jahren verantwortlich. In der rettungsdienstlichen Versorgung verzeichnen wir eine enorme Steigerung der Rettungswageneinsätze aber auch längere Einsatzzeiten. Diese sind eine Folge der zunehmenden Spezialisierung der Kliniken und daraus resultierenden längeren Fahrtstrecken um jedem Patient die bestmögliche klinische Versorgung zu gewährleisten. Hierdurch tritt das gleiche Phänomen auf, wie in der notärztlichen Versorgung: nehmen die Einsatzzeiten zu, kommt es regelmäßig zur Duplizität. Das heißt, dass während eines Einsatzes ein weiterer Notfall hinzukommt, der dann durch ein benachbartes Rettungsmittel bedient werden muss, was zu schlechteren Hilfsfristen führen kann.
Gesamtgesellschaftlich lässt sich ein Trend feststellen, der auch entscheidend im Rettungsdienstbereich Mittelbaden zu einer deutlichen Steigerung des Fahrtenaufkommens führt. Nicht selten wird ein Rettungsmittel zu einem vermeintlichen Notfall gerufen, der sich als ein trivialer Infekt herausstellt. Auch die klinischen Notfallambulanzen sind häufig überfordert mit erkrankten Menschen, die im eigentlichen Sinn keine Notfallversorgung benötigen, sondern vielmehr die hausärztliche Versorgung ausreichend wäre. Allerdings muss man sich beim Hausarzt einen Termin holen, unter Umständen muss der Erkrankte auch noch eine fachärztliche Konsultation einholen, dies erscheint in heutiger Zeit vielen Menschen zu umständlich. Um die medizinische Vollversorgung zeitnah einholen zu können, wird nicht selten der Rettungsdienst oder Notfallambulanzen missbraucht. Hier braucht es in der Bevölkerung Aufklärungsarbeit, insbesondere dass die medizinische Notfallversorgung nur den akut erkrankten Menschen vorbehalten ist. Die medizinische Notversorgung ist sehr teuer, somit lassen vermeidbare Einsätze die Kosten im Gesundheitssystem überproportional steigen, sollte der Trend nicht durchbrochen werden können.
Ein erster Schritt um diesem Trend entgegen zu wirken, ist die Einführung der bundesweit einheitlichen Notrufnummer 116 117 für den Hausärztlichen Notdienst ab Mai 2015. Hausärzte können in heutiger Zeit nicht mehr rund um die Uhr erreichbar sein um ihre Patienten zu versorgen. Aus diesem Grund haben sich die kassenärztlichen Vereinigungen neuorganisiert, um erkrankte Menschen außerhalb der Praxiszeiten medizinisch besser versorgen zu können.
Diese neue Nummer soll wie die europäische Notrufnummer 112 medienwirksam beworben werden. Ein starker grippaler Infekt erfordert auch mal eine hausärztliche Versorgung außerhalb regulärer Praxiszeiten, ist aber kein Notfall, der es rechtfertigen würde, einen Rettungswagen oder gar Notarzt zu entsenden. Unsere Integrierte Leitstelle für den Rettungsdienstbereich Mittelbaden versorgt seit diesem Jahr neben der europäischen Notrufnummer 112 die ärztliche Notfallnummer 116117. Wir gehen davon aus, dass dadurch Notrufe deutlich besser selektiert werden können und für jeden Anrufer das richtige Versorgungssystem ausgewählt werden kann.
Im Zusammenhang mit der anstehenden Novellierung des Rettungsdienstgesetzes in Baden-Württemberg wurde landesweit diskutiert, ob die Hilfsfrist für den Notarzt erhöht und die des Rettungswagens gesenkt werden soll. Wir sind das einzige Bundesland, in dem eine doppelte Hilfsfrist gesetzlich verankert ist. In allen anderen Bundesländern markiert entweder der Notarzt oder der Rettungswagen die Hilfsfrist. Eine Änderung der Hilfsfristen wird wohl am Ende dieser Legislaturperiode nicht mehr umgesetzt werden. Hingegen ist zu erwarten, dass der Beruf des Notfallsanitäters in die Novelle Einzug finden wird. Dies ist der erste Schritt, den Mitarbeitenden im Rettungsdient mehr Kompetenzen übertragen zu können, was mittelfristig zu einer Entlastung des Notarztsystems führen sollte. Der Notfallsanitäter ist in der Lage, alle lebenserhaltenden Maßnahmen zu ergreifen, was sich in der Frage der rettungsdienstlichen als auch in der notärztlichen Hilfsfrist wieder spiegeln sollte. So ist nicht eine doppelte Hilfsfrist entscheidend für die Versorgung unserer Bürger sondern vielmehr dass ein Rettungsmittel mit gut ausgebildeten Mitarbeitern schnell an der Notfallstelle ist und effizient Hilfe leisten kann.
So gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, dass die Überlebenschance abhängig ist von einem kurzen therapiefreien Intervall und einer schnellen klinischen Versorgung, das heißt, die Zeit bis zum stabilen Transport in die Klink sollte so kurz wie möglich gehalten werden und keine intensive Behandlung der Patienten vor Ort stattfinden. Wir gehen weiter davon aus, dass nach der kleinen Novelle in dieser Legislaturperiode, in den nächsten Jahren grundlegende Änderungen im Rettungsdienstgesetz vorgenommen werden.